Man kuschelt nicht mit Despoten
Der sonst eher marktwirtschaftlich geprägte Ulf Poschardt hat heutmorgen in der Welt seine menschelnde Seite gezeigt, als er – ganz den Ärzten mit „Schrei nach Liebe“ folgend – quasi „free hugs“, also kostenlose Umarmungen für Wladimir Putin gefordert hat. Er liegt damit falsch. Die Welt in der Ukraine ist zwar nicht so klar schwarz/weiß, wie viele deutsche Medien es uns weiß machen wollen, aber das Verhalten von Wladimir Putin erinnert doch erheblich mehr an sowjetische oder nationalsozialistische Einmärsche, denn an ein einen hilflosen kleinen Jungen, der sich nach der Liebe des Westens sehnt.
Oppositionsparteien in der Ukraine nur unwesentlich besser als Janukowitsch
Aber von Anfang an: Europa und die USA haben es sich zuerst mit dem einseitigen Hochjubeln der ukrainischen Opposition – damit meine ich übrigens nicht die Demonstranten auf dem Maidan, sondern vielmehr die bisherigen politischen Parteien – zu leicht gemacht. Wohl am Unbelasteten, aber leider auch politisch am Unbeschlagensten dürfte noch Klitschko sein. Aber wenn der Tweet von Marina Weisband stimmt, dann wird er schlicht nicht komplett ernstgenommen vor Ort.
Klitschko wurde im Westen zu einer Erlösergestalt hochstilisiert, als die er in der Ukraine nicht gilt.
— Marina Weisband (@Afelia) 24. Januar 2014
Gerade Julia Timoshenko hingegen ist selbst nun wahrlich über genügend Korruptionsaffären und Verfolgungen Andersdenkender gestolpert, um sie zur Heilsbringerin zu stilisieren. Deshalb trifft es wohl die Aussage eines liberalen Journalisten:
„Many of us are sincerely happy, that Yulia Tymoshenko is no longer in jail. But let’s be honest with ourselves: those who wish to see her back in politics are not many.”
Schlussendlich waren es Julia Timoschenko und Wictor Juschtschenko, die mit ihren Affären und ihrer Fehde nicht nur die Demokratie in der Ukraine in eine Krise gestürzt haben, sondern auch das Wiedererstarken Janukowitschs und seine demokratische Wahl erst ermöglicht haben. Denn, auch wenn Janukowitsch nach allen Bildern und Berichten weit über die Grenzen dessen gegangen ist, was ein Demokrat tun darf, war er demokratisch gewählt. Doch gerade diese Grenzüberschreitung im Amt, der Ausbau der eigenen Rechte, die weitere Spaltung des Landes durch die harsche Abkehr von Europa, das Niederknüppeln und Erschießen der Demonstranten sorgten erst für die Notwendigkeit der Revolution, deren demokratische Kräfte es deshalb zu unterstützen gilt und galt.
Ob es klug seitens der Revolutionäre war, mit Vorstößen wie der geplanten Abschaffung der russischen Sprache als Landessprache den Spaltpilz zu düngen, darf wohl bezweifelt werden.
Grundprobleme der Sowjet-Republiken: Willkürliche Grenzen
Sachlich vorangestellt: Eines der Grundprobleme vieler heutiger territorialer Probleme auf dem Gebiet der ehemaligen UdSSR ist ohne Zweifel die vollkommen willkürliche Grenzziehung der wechselnden Diktatoren der Sowjetunion. Genau wie beim Georgien-Krieg, insbesondere mit Blick auf Abchasien, Stalins Erweiterung der Georgischen Sowjet-Republik eines der Kernprobleme war, ist es heute in der Ukraine Kruschtschows Zuordnung der historisch russischen Krim an die die Ukraine.
An dieser Stelle sei übrigens ein Blick in den Atlas empfohlen und nicht auf die aktuell in den Medien kursierenden Karten: Die Krim hat geographisch bis auf einige dünne Landbrücken kaum mehr wirkliche Landübergänge zur Ukraine wie zur russischen Küste des Schwarzen Meers. Auf manchen Karten in den Medien erhält man da aktuell einen anderen Eindruck.
Krim-Krieg reloaded?
Unabhängig von all diesen Fragen, bleibt die Frage, was heute auf der Krim und in den südöstlichen Teilen der Ukraine geschieht und wie Europa damit umgehen sollte.
Für mich steht vollkommen außer Frage, dass es sich – anders als Gerhard Schröder – um ein völkerrechtswidriges Vorgehen Russlands in der Ukraine handelt. Denn auch wenn die russischen Soldaten keine Hoheitszeichen tragen, bleiben es doch russische Soldaten. Selbst wenn Putin selbst heute keinen Bedarf für russische Truppen in der Ukraine sieht, sind sie eben real – ohne Hoheitszeichen – schon da.
Dazu kann man sich die Aussage von Ludwig von Mises nur unterstreichen:
„Noch ärger ist das Missverständnis, wenn man das Selbstbestimmungsrecht als ‚Selbstbestimmungsrecht der Nationen‘ gar dahin verstanden hat, dass es einem Nationalstaate das Recht gebe, Teile der Nation, die einem anderen Staatsgebiet angehören, wider ihren Willen aus ihrem Staatsverband loszulösen und dem eigenen Staat einzuverleiben.“
Aber was sind die Konsequenzen daraus?
Der erhobene Zeigefinger der Absage des G8-Gipfels, noch dazu mit angezogener deutsch-französischer Handbremse, kann nicht ernsthaft die einzige Reaktion der Europäischen Union bleiben. Einmal mehr zeigt sich, dass das Stimmengewirr der europäischen Außenpolitik nicht gerade hilfreich ist. Auch wenn Sanktionen schlicht wegen des Vetorechts Russlands nie durch den UN-Sicherheitsrat kommen werden, müssen sie doch Realität werden. Dass der Markt durch seine eigenen Kräfte real bereits Sanktionen schafft, ist ein mehr als positives Zeichen, reicht aber nicht aus. Es zeigt aber, dass dies möglich wäre. Insbesondere mit Blick auf die wohl ohnehin sehr niedrige Akzeptanz des russischen Vorgehens auf der Krim könnten Sanktionen den Druck deutlich erhöhen.
Der Spitzenkandidat der Liberalen zur Europawahl Alexander Graf Lambsdorff hatte in einem ersten Statement hervorgehoben, dass es für ihn keine militärische Option geben können, da dies sonst Krieg in Europa hieße. Diese Aussage halte ich für falsch bis gefährlich: Natürlich darf eine militärische Option nie die erste Wahl sein. Aber sie gänzlich vom Tisch zu nehmen und mit den Despoten nur á la Neville Chamberlain zu kuscheln hat sich in der Vergangenheit nicht gerade bewährt. Außerdem haben unsere Verbündeten USA, Großbritannien und Frankreich der Ukraine im Gegenzug dafür, dass sie keine Atomwaffen behält, ein Schutzversprechen abgegeben. Ansonsten droht uns als Kollateralschaden ein nukleares Aufrüsten, da offensichtlich Schutzversprechungen nicht so wirklich viel wert sind. Keine schöne Vorstellung. Mit seinem neueren Statement hat Alexander Graf Lambsdorff seine Position zur Ukraine wieder etwas gerader gerückt.
Habe ich Sorgen wegen der Gefahr einer militärischen Intervention? Natürlich. Gewaltige sogar. Sie darf nur allerletzte Möglichkeit sein, aber sie ganz auszuschließen bleibt falsch.
Am Ende bleibt für mich: Europa muss gemeinsam mit den USA verhandeln, aber eben auch handeln. Bei allem Verständnis für den Phantomschmerz eines verlorenen Sowjetreiches können wir nicht (erneut) dulden, dass Russland demokratische Staaten teilweise überrennt. Gleichzeitig muss die neue ukrainische Führung Schritte zur Einheit des Landes gehen und das Provozieren der östlichen Ukraine, die nun einmal stärker pro-russisch geprägt ist und auch sein wird, ist nicht hilfreich. Deshalb scheint mir eine klar föderale Ukraine, mit Toleranz zu Entwicklungen sowohl zu Russland als auch zur EU hin, der einzige Weg. Nur diesen Weg einschlagen, können nicht wir. Wir können nur handeln und helfen. Aber eben nicht nur umarmen, sondern auch deutliche Worte und Reaktionen finden.
Und allen die sich auf die Rede von Putin vor dem Bundestag im Jahr 2001 berufen, sei diese nur zitiert:
„Wir tun das als ein Volk, das gute Lehren aus dem Kalten Krieg und aus der verderblichen Okkupationsideologie gezogen hat.“
Das darf man nach den letzten Wochen getrost bezweifeln. Ich tue es zumindest und gegen Okkupationsideologien helfen keine Umarmungen. Das sollte gerade für uns Deutsche eine tragisch gelernte Lektion des 20. Jahrhunderts sein.