Eltern-Vorurteile nerven? Für mehr Realität als Klischees
Lieber Sebastian Tigges,
ich möchte auf Ihre Antwort an Christian Lindner und seiner Eltern-Rolle eingehen, die kürzlich für Diskussionen sorgte. Dabei scheinen Sie weniger von Fakten als von Vorurteilen geprägt zu sein – eine Herausforderung, die wir alle kennen.
Eltern-Sein ist Realität, keine Pose
Ihr Bild von Eltern, die sich auf die Suche nach dem nächsten Kaffee am Prenzlauer Berg machen, entspricht vielleicht Ihrer eigenen Realität, hat aber wenig mit den Herausforderungen zu tun, denen sich Eltern in Deutschland tagtäglich stellen. Ich befinde mich derzeit in meiner zweiten Elternzeit – diesmal neun Monate ohne Elterngeld, beim ersten Kind waren es sieben mit Elterngeld. Meine Erfahrungen im Elternalltag – von der Suche nach einem passenden Kindergartenplatz bis hin zu nächtlichen Sitzungen vor der Waschmaschine – sind weit entfernt von den Klischees, die Sie bemühen.
Die Realität vieler Eltern in Deutschland sieht ganz anders aus: Sie kämpfen mit organisatorischen Hürden und praktische Herausforderungen, nicht mit der Wahl des besten Cappuccinos in der Nachbarschaft. Ihre pauschalen Unterstellungen sind nicht nur unfair, sondern lenken auch von den tatsächlichen Problemen ab, die Familien bewältigen müssen.
Gesetzliche Realität: Keine Elternzeit für Abgeordnete
Ihre Kritik an Christian Lindner ignoriert zudem eine grundlegende Tatsache, das sagen Sie ja selbst: Bundestagsabgeordnete können per Gesetz keine Elternzeit nehmen. Das Mandat ist eine Verpflichtung, die sich nicht pausieren lässt. Statt persönlicher Angriffe könnten wir die Diskussion sinnvoll darauf lenken, ob es an der Zeit ist, diese Regelung zu überdenken und wie dies ginge. Die Vereinbarkeit von Familie und politischem Engagement ist ein wichtiges Thema, das uns alle angeht. In den Niederlanden oder Österreich ist übrigens Elternzeit im Parlament geregelt.
Private Entscheidungen verdienen Respekt keine Vorurteile
Was Christian Lindner und Franca Lehfeldt mit ihrer Kinderbetreuung tun, geht niemanden außer die beiden selbst etwas an. Jeder hat das Recht, ein Modell zu wählen, das für die eigene Familie passt. Ich kenne Christian persönlich nur flüchtig, doch mein Eindruck ist, dass er Verantwortung übernimmt – auch im Privaten. Warum also dieses öffentliche Shaming aufgrund einer unsauberen Vormulierung und Ihrer Vorurteile?
Gleichzeitig kennen wir alle Familien, bei denen die Aufteilung der Elternzeit oder die Rollenverteilung individuell entschieden wird. Das ist ein Ausdruck von Freiheit, der man nicht mit Intoleranz begegnen sollte. Es steht uns nicht zu, diese Entscheidungen aufgrund eigener Vorurteile zu bewerten – und doch tun Sie genau das.
Die Einladung zur Reflexion über Vorurteile
Ich lade Sie ein, Ihre Perspektive zu erweitern. Kommen Sie einmal raus aus der Blase der Vorurteile. Besuchen Sie mit mir den ländlichen Raum und sehen Sie, wie Eltern dort den Alltag meistern. Glauben Sie mir, es eröffnet neue Perspektiven, wenn man die Lebenswirklichkeit anderer Menschen direkt erlebt. Ein gefühlter Vorort von München, in dem Sie waren, ist da noch sehr dicht am Prenzlauer Berg.
Denn genau das ist es, was wir alle brauchen – die Bereitschaft, über unsere eigenen Vorurteile hinauszugehen und Empathie für andere Lebensrealitäten zu entwickeln. Pauschale Urteile, insbesondere auf Basis von Stereotypen, führen nur zu Gräben, die unsere Gesellschaft spalten.
Ein respektvoller Diskurs über Eltern-Sein
Ihr ursprünglicher Beitrag hat mich als aktiven und engagierten Vater genervt. Denn es sind genau diese Art von unreflektierter Kritik und Vorurteile, die konstruktiven Austausch verhindert. Lassen Sie uns die Diskussion darauf konzentrieren, wie wir als Gesellschaft gleiche Chancen und mehr Unterstützung für Familien schaffen können, anstatt uns mit persönlichen Angriffen aufzuhalten.
Ich freue mich auf einen offenen Austausch bei einem Kaffee – irgendwo im ländlichen Raum, wo Sie nicht nur andere Perspektiven kennenlernen, sondern auch eine Pause vom Prenzlauer-Berg-Klischee nehmen können.
Mit besten Grüßen
Lasse Becker
Was denkt Ihr?