PID – eine Frage, bei der einem Politiker niemand helfen kann
Präimplantationsdiagnostik … das erste Mal politisch darüber diskutiert habe ich bei meinem allerersten landesprogrammatischen Wochenende der Jungen Liberalen im Jahr 2000 in Bad Karlshafen. Aktuell ist das Thema, für das sich die Mehrheit meiner Follower auf Facebook und Twitter entschieden hat, allemal. Denn aktuell ringt der Deutsche Bundestag in einer Abstimmung, die in allen Fraktionen ohne Fraktionsdisziplin stattfinden wird, um eine gesetzliche Lösung zum Umgang mit den Diagnosen an Embryonen, die nach künstlicher Zeugung noch nicht in die Gebärmutter eingesetzt sind.
Um das vorweg deutlich zu machen: Dieser Artikel spiegelt in keinster Weise eine Beschlusslage der Jungen Liberalen wider, sondern ist einzig und allein meine persönliche Meinung zu diesem Thema und ein paar Themen, die aus meiner Sicht damit zusammenhängen.
Es geht ganz konkret, um die Frage dreier Entwürfe, die im Deutschen Bundestag diskutiert werden:
- Der Entwurf von Ulrike Flach und Peter Hintze, für klar eingegrenzte und schwere Krankheitsbilder eine Diagnose zu ermöglichen.
- Der Entwurf von Priska Hinz und René Röspel, nur für Krankheitsbilder, die zu einer massiven Gefahr für das Überleben im ersten Jahr des Kindes werden, bei Vorbelastung der Eltern eine Diagnose zu ermöglichen.
- Der Entwurf von Ulla Schmidt und Johannes Singhammer, Diagnosen an künstlich befruchteten Embryonen vor der Implantation prinzipiell zu verbieten.
Inzwischen habe ich schon mehrfach mit jüngeren Bundestagsabgeordneten gesprochen und habe festgestellt, dass es – meiner Ansicht nach zu recht – wohl kaum eine Frage gibt, die so schwer zu entscheiden ist.
Die ethische Frage, ob man in den Menschwerdungsprozess als Mensch künstlich eingreifen sollte, gestaltet sich in diesem Fall noch einmal schwieriger, da man eben bereits eingegriffen hat. Aus meiner Sicht ist es ein Unterschied, da im Falle der PID bereits die Befruchtung im Reagenzglas stattgefunden hat und man damit quasi im gleichen Moment die Untersuchung eines eventuell massiven genetischen Defekts durchführen könnte.
Verglichen damit, dass in begründeten Fällen nach einer Beratung in Deutschland eine Abtreibung sehr viel später während der Menschwerdung noch strafffrei ist, halte ich den dritten Entwurf für mich wenig überzeugend: Anstatt einen Embryo erst der Mutter einzupflanzen, um dann anschließend mit den klassischen Diagnosemöglichkeiten eventuell alle Belastungen eines Schwangerschaftsabbruchs durch Abreibung auszulösen, erscheint mir eine unnötige körperliche wie emotionale Belastung, ja Qual. Und – auch wenn das manch ein konservativer Follower auf Facebook, der mich regelmäßig in CdL-Gruppen (Christdemokraten für das Leben) einlädt, nicht sieht –halte ich die Möglichkeit eines Schwangerschaftsabbruchs unter harten und strikten Auflagen nach entsprechender Beratung für notwendig. Man kann über manche Ausgestaltungsfrage natürlich streiten, aber ich glaube nicht, dass Frauen, die abtreiben, sich diese Entscheidung sonderlich leicht machen, sondern ganz im Gegenteil, dass dies wahrscheinlich die schwerste Entscheidung im Leben sein kann. Wenn ich aber genau diesen Schritt rechtfertigen kann und das tue ich, wie gesagt, – erscheint es mir unlogisch, eine Präimplantationsdiagnose, die früher im Menschwerdungsprozess ansetzt, zu verbieten.
Ich gebe aber offen zu, dass ich zwischen den Vorschlägen von UIrike Flach und Priska Hinz schwanken würde und immer noch nicht sicher bin, für welchen Vorschlag ich sein soll: Einerseits erscheint es mir plausibel, möglichst viele schwere genetische Defekte zu untersuchen, andererseits hat mich die Aussage eines FDP-Bundesvorstandskollegen, der selbst eventuell von einer solchen Diagnose hätte betroffen sein können, sehr nachdenklich gemacht. Er lebt, er gestaltet Politik mit und wer hätte das Recht gehabt, diese Entscheidung im Vorfeld zu treffen, ob eine Art des Lebens es wert ist, gelebt zu werden. Eine Begrenzung nur auf sehr wenige Krankheiten, die sehr schnell zum Tod führen, scheint für mich deshalb ein eher vertretbarer Weg, aber das ist meine persönliche Meinung. Ich kann jeden verstehen, den, der der Position von Ulla Schmidt nahe steht genauso, wie den, der bei der Abwägung eher zur Meinung von Priska Hinz tendiert.
Ich würde wohl am Ehesten für den Entwurf von Ulrike Flach sein, aber auch noch den Entwurf von Frau Hinz mittragen können. Aber eins weiß ich bestimmt:
Zunächst einmal gehe ich jetzt auf Facebook online und lehne die zwei Facebook-Anfragen der CdL ab, denn nur mit platten Parolen, die nicht auf die Problemstellungen beim Thema Abtreibung oder PID eingehen, will ich nichts zu tun haben.
Das ist eine der schwersten Entscheidungen, die ein Politiker zu treffen hat, aber sicher keine, die man aufgrund dogmatischer oder religiöser Linien unreflektiert treffen sollte. Und das ist mein eigentlicher Appell an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages:
Denken Sie ruhig zwanzig Mal über die Frage nach und entscheiden Sie sich ruhig vierzig Mal um, aber treffen Sie am Ende die Entscheidung nicht wegen Kirchendogmen, nicht weil es grob einer Parteilinie entspräche, sondern weil Sie diesen Kurs für den richtigen – bzw. für den am wenigsten falschen – halten.
Lieber Lasse,
ich stimme Dir in der Analyse zum 3. Vorschlag zu. Da ist auch das weitgehend funktionale Argument, dass wir in Deutschland teilweise barbarisch späte Abtreibungen zulassen, hinreichend. Für die Bewertung der anderen beiden Vorschläge – die ich wie Du in der Sache nicht zu unterschiedlich sehe – ist für mich allerdings eine Beschäftigung mit Menschenbild und Ethik notwendig.
Ich habe persönlich eine sehr genaue Vorstellung, ab welchem Punkt ich eine PID in betracht ziehen würde. Die Personen, bei denen eine solche Untersuchung aus Sachgründen in Frage käme, sollten sich entsprechend damit auseinandersetzen. Das entspricht auch meinen vorstellungen: Der Mensch ist ein ethisches Wesen, der Staat ein Konstrukt. Entscheidet ein Mensch sich auf Grund von Abwägungen und individuellen Werten für eine PID, muss man diese Entscheidung nicht gut finden, aber tolerieren. Entscheidet aber ein Staat darüber, welche Indikationen eine PID legitimieren, ist das etwas anderes. De facto schreibt der Staat eine Liste, die er erweitern oder eingrenzen kann (das wird ja bereits dadurch offenbar, dass es bereits 2 Varianten dieser Liste gibt). Der Staat entscheidet über wertes und unwertes Leben. Das ist – mit Verlaub, und als sehr bewusster Historiker gebrauche ich dieses Wort – Eugenik.
Bei Schwangerschaftsabbrüchen hat man übrigens eine andere Lösung gefunden. Hier gibt es keine formale Festlegung, bei welcher Behinderung abgetrieben werden dürfen (ich finde es übrigens mehr als erschütternd, dass Eltern Kinder abtreiben, weil diese Trisomie21 haben), die Indikation ist die „Gefahr für das Leben oder die körperliche oder seelische Gesundheit der Schwangeren“, das Kind wird generell nicht in Betracht gezogen.
Für mich wäre, auch angesichts der reichlich frühen Selektion der Embryonen (die außerhalb des Mutterleibes entstehen und ohnehin ohne menschliches zutun keine Entwicklungsmöglichkeit hätten), die komplette freigabe die ethischste Lösung – dann sind natürlich gesellschaftliche Kräfte gefragt, dies zu kontrollieren, etwa die Kirchen.
Eine weitere tragbare Lösung wäre eine Regelung vergleichbar der medizinischen Indikation bei Schwangerschaftsabbrüchen: „Es besteht eine Gefahr für das Leben oder die körperliche oder seelische Gesundheit der Schwangeren [und ihres Partners], welche nur durch eine PID abgewendet werden kann.“
Liebe Grüße, J.
Lieber Lasse,
zunächst einmal finde ich es sehr gut, dass du dich in deinem Blog nun mit dem Thema befasst. Allerdings will ich noch vielleicht 1-2 mehr Punkte beleuchten, die für den dritten Antrag sprechen und die wie ich finde in deinem Statement etwas zu kurz gekommen sind:
Als Liberaler lebe fest in dem Glauben, dass jeder einzelne Mensch die absolut gleiche unveräußerliche und unantastbare Würde und das gleiche unveräußerliche und unantastbare Recht auf Leben hat. Dieser im Artikel 1 unseres Grundgesetzes festgeschriebene Grundsatz ist einer der Fundamente auf denen unser Land steht.
Mit der Diskussion um die PID begeben wir uns in einen Bereich, in dem wir schlussendlich auch über diesen Grundsatz werden diskutieren müssen. Denn mit der PID würden wir zum ersten Mal einen Wertigkeitsunterschied zwischen der natürlichen und der künstlichen Befruchtung und somit auch zwischen Kindern, die durch natürliche Befruchtung entstanden sind und solchen, die durch künstliche Befruchtung entstanden sind machen. PID ist nämlich nur bei der künstlichen Befruchtung möglich.
Schlussendlich liegt es immer in der Verantwortung der Eltern, ob sie ein Kind zur Welt bringen oder nicht, aber diese Entscheidung darf aus meiner Sicht immer nur dann getroffen werden, wenn das Kind schon im Mutterleib heranwächst, denn schon jetzt kommen 90% der werdenden Kinder mit Down-Syndrom nicht auf die Welt. Mit der PID und der damit einhergehenden Verlagerung der Entscheidung VOR die Implantation würde diese Zahl drastisch steigen, da die Mutter zu dem „Zellhaufen“ in dem Reagenzglas vor sich kaum eine so persönliche Bindung aufbauen könnte, wie zu dem heranwachsenden Kind IM Mutterleib. Hier wird der Unterschied zwischen der natürlichen und künstlichen Befruchtung, der durch die PID entstünde und der für mich mit der Würde des Menschen nicht vereinbar ist besonders deutlich.
Legalisierten wir nun die PID würden wir desweiteren auf die künftigen Eltern von Kindern mit Behinderungen enormen Druck ausüben. „Hätte man dem Kind das Leid denn nicht ersparen können?“ wird man sich als Eltern dieser Kinder fragen lassen müssen. Aber wie viele Eltern kommen fast um vor Sorge um ihre „normalen“ Kinder… und wie viele Eltern sind täglich dankbar für ihre „etwas anderen“ Kinder? Ich nenne nur die Kinder mit Down-Syndrom, die oft emotional und sozial weiter sind als andere.
Alle Regelungen mit dem Ziel einer beschränkten Zulassung der PID entgehen ferner nicht dem Grundproblem der Entscheidung, welches Leben gelebt werden darf und welches nicht. Darüber hinaus ist eine Beschränkung auf einzelne Fälle faktisch unmöglich: Zum einen zeigen internationale Erfahrungen die ständige Ausweitung der Indikationen. Zum anderen ist der Umgang mit den bei der Untersuchung von Chromosomenanomalien zu erwartenden Nebenbefunden ungeregelt. Bereits wegen etwaiger Haftungsrisiken des Arztes wird es die Tendenz geben, alle vorhandenen Informationen zu nutzen, was schlussendlich dazu führt, dass Eltern sich ihre Kinder „zusammenstellen“ können. Künftig würde man sich nicht mehr die Frage stellen: „Down-Syndrom, ja oder nein?“ sondern mit der Frage „blaue Augen, ja oder nein?“ konfrontiert.
Auch der Versuch, die Anwendung der PID auf Fälle erwarteter Totgeburten oder früher Kindersterblichkeit zu begrenzen, wird aus diesem Grund kaum gelingen. Jede Abgrenzung des „Lebenswertes“ aufgrund einer prognostizierten Lebenserwartung wäre willkürlich und daher ethisch nicht tragbar.
Liebe Grüße
Martin